italienische Literatur: Im Spannungsfeld von Aufklärung und Klassizismus - Parini, Goldoni, Alfieri

italienische Literatur: Im Spannungsfeld von Aufklärung und Klassizismus - Parini, Goldoni, Alfieri
italienische Literatur: Im Spannungsfeld von Aufklärung und Klassizismus - Parini, Goldoni, Alfieri
 
Im Zuge der italienischen Aufklärung, des »Illuminismo«, entstand auf der Appeninhalbinsel eine Vielzahl von unterschiedlichen literarischen Texten, die sowohl die politische Zerissenheit Italiens als auch den geistigen Umschwung von Arcadia zur Romantik in allen ihren Schattierungen widerspiegeln. Italien stellte auch im 18. Jahrhundert keine politische Einheit dar: Oberitalien unterstand Österrreich, in Mittelitalien herrschte der Papst, Neapel-Sizilien wurde als Königreich von Karl von Bourbon geprägt, und einzelne Staaten wie das von Dekadenz gezeichnete Venedig, Genua und das mit preußischer Strenge regierte Sardinien-Piemont hielten sich noch in ihrer Autonomie. So unterschiedlich die Regierungsstile in den jeweiligen Territorien, so verschiedenartig waren auch die Reaktionen auf die Ideen der Aufklärer. Zentren der neuen Form der Meinungsbildung und Wissensvermittlung im Zeichen der Vernunft bildeten sich vor allem im liberalen Norditalien, wo in Mailand der Kreis von Intellektuellen um die Brüder Pietro und Alessandro Verri im Juni 1764 die erste Ausgabe der Zeitschrift »Il Caffè« herausgab. Für sie war Programm, mit ihren populärwissenschaftlichen Artikeln »nützliche Wahrheiten« in »eleganter und unterhaltsamer Weise« zu verbreiten. Zu den Mitarbeitern der Zeitschrift gehörte auch Cesare Beccaria, der im gleichen Jahr mit seinem Traktat zur Reform des Strafrechts (»Von den Verbrechen und Strafen«) nicht nur in Italien für Aufsehen sorgte. Schon früher hatten einzelne Werke im Sinne der Aufklärung eine Verbreitung der neuesten Wissenschaften unter einem großen Publikum, auch unter den Frauen, propagiert. Ein Paradebeispiel dafür war der Traktat »Newtons Theorie für Damen«, den Francesco Algarotti 1737 veröffentlicht hatte. In Form eines Salongespräches erörtert er hier in ansprechender, einfacher, aber wissenschaftlich fundierter Art Newtons Lehre von der Optik für ein interessiertes, weibliches Publikum.
 
Ebenfalls in Mailand wirkte der Dichter Giuseppe Parini, der aufklärerisches Gedankengut, wie es in »Il Caffè« journalistisch aufbereitet wurde, in stilistisch kunstvollen Oden verarbeitete. Parini verkörpert das Idealbild des engagierten Literaten, der den idyllischen, weltfremden Charakter der arkadischen Lyrik überwand und Themen des gemeinschaftlichen Lebens durch die strenge, literarisch hohe Form der Ode aufwertete. So behandelt er in seinen Gedichten aktuelle Themen wie die Pockenimpfung, die Luftverschmutzung oder die inhumane Praxis, Sänger für den päpstlichen Hof zu kastrieren. Parinis besondere Kritik galt jedoch dem heruntergekommenen, moralisch verwahrlosten Adel seiner Zeit. Vor allem in seinem Hauptwerk, dem Versepos »Il giorno« (»Der Tag«), das er von 1763 bis zur Veröffentlichung 1803 beständig überarbeitete, wurde der Adel zur Zielscheibe von Parinis Satire. Entsprechend den Tageszeiten besteht dieses Epos aus vier Teilen: »Der Morgen«, »Der Mittag«, »Der Abend« und »Die Nacht«. Der Autor beschreibt in der Rolle eines Hauslehrers den Tagesablauf eines »Giovin signore«, eines jungen Adligen. Das späte Erwachen, das gelangweilte Schlürfen der Schokolade im Bett, das übertriebene Ritual der Toilette und des Puderns der Perücke spiegeln deutlich die Dekadenz des jungen Mannes. Der Ziellosigkeit seines Lebens können auch die Unterweisungen in Tanz, Gesang und Französisch keine Abhilfe schaffen. Am Rest des Tages und in der Nacht beschäftigt sich der Adlige mit Besuchen bei seiner verheirateten Geliebten, mit ausgiebigen Mahlzeiten und dem Glücksspiel. Besonders grotesk wirken diese Darstellungen Parinis durch die große Diskrepanz zwischen der Form des Epos, die eigentlich heldenhafte Inhalte erwarten lässt, und der kontinuierlichen Stilisierung des »Giovin signore« zum blasierten Antihelden und Typus einer im Untergang begriffenen Gesellschaftsform.
 
Der von Parini geschilderte vergnügungssüchtige Adel fand vor allem in Venedig jegliche nur denkbare Ablenkung. Hier - in der italienischen Hauptstadt der Schauspielhäuser - schickte sich Carlo Goldoni um die Mitte des Jahrhunderts an, das stagnierende italienische Theater zu reformieren. Goldoni wurde, nachdem er einige Jahre als Jurist gearbeitet hatte, 1748 zum fest angestellten Theaterschriftsteller. Er schrieb mehr als 180 Bühnentexte, vor allem Komödien, mit denen er sich um eine Erneuerung des Theaters bemühte, das bis zu seiner Zeit noch stark vom Stegreifspiel der Commedia dell'Arte geprägt war. Goldoni vollzog nun den Wechsel von einem Theater der Mündlichkeit zu schriftlich fixierten Vorlagen für das Spiel. Damit trug er zur Etablierung des Theaterliteraten bei. Nach und nach ersetzte er die stereotypen Masken durch lebendige Charaktere, die er mit großem psychologischem Geschick entwickelte. Die Sprache sollte natürlich und den jeweiligen Figuren angemessen sein; daher verwendete Goldoni oft Wendungen des Dialekts.
 
In seinen frühen Komödien stellte Goldoni den erstarkten bürgerlichen Stand und dessen Wertvorstellungen in den Vordergrund. So unterscheidet sich in dem Stück »Das Kaffeehaus« (1750) der ehemalige Diener und Kaffeehausbesitzer Ridolfo vor allem durch seine steten Bemühungen um Moral und Ordnung von dem spielsüchtigen Sohn seines früheren Herrn und dem geschwätzigen Adligen Don Marzio. In vielen der so skizzierten Gestalten versuchte Goldoni, seinen Stücken einen moralisch-erzieherischen Wert zu verleihen; ein weiteres Anliegen seiner Reform, mit der er sich nicht nur Kritiker, sondern erbitterte Feinde machte. Vor allem mit dem zu dieser Zeit nicht weniger renommierten venezianischen Theaterschriftsteller Carlo Gozzi, der mit seinem konservativen Märchentheater im Stil der Commedia dell'Arte Goldonis Reformbestrebungen entgegenstand, lieferte er sich öffentliche Auseinandersetzungen. Im Lauf der Jahrzehnte verlegte sich Goldoni, der sah, wie das venezianische Bürgertum es dem dekadenten Adel immer mehr gleichtat, auf Handlungen und Charaktere aus dem einfachen Volk. Für Goldoni ist »alle Natur nachahmenswert« und »geeignet einen Komödienstoff abzugeben«. Seine Komödie »Streitereien in Chioggia« (1762) beispielsweise, die Fischerfamilien in ihrem täglichen Leben voller Zwist und Versöhnungen zeigt, vermochte nicht nur zur Zeit ihrer Erstaufführung die einfachen Theaterbesucher, sondern auch noch 25 Jahre später den jungen Goethe auf seiner Italienreise zu entzücken.
 
Ein anderes Ziel verfolgte der piemontesische Schriftsteller Vittorio Alfieri. Er wollte mit seinen Tragödien, die sich gegen die Tyrannei richten und für die Freiheit des Individuums plädieren, in Italien ein Nationaltheater begründen. Seine Stoffe bezog Alfieri aus der italienischen Geschichte, der Bibel und vor allen Dingen aus der antiken Literatur. Immer wieder variierte er das Thema des heroischen Aufbegehrens gegen jegliche Art der Tyrannei, das bei Alfieri in letzter Konsequenz in den Selbstmord führt. Das Thema der Gewaltherrschaft und des sich widersetzenden individuellen Helden spiegelt seine Abneigung gegen jede Form von Absolutismus. Entsprechen formuliert er auch in seinem Traktat »Vom Fürsten und von der Literatur« (1789) die Rolle des Schriftstellers, die strikt von der politischen Macht zu trennen sei. Der Literat zeichne sich vor allem durch vier Dinge aus: »Hohe Gesinnung, freie Umstände, starkes Fühlen und scharfen Geist«. Alfieris nach Freiheit strebende, betont individuelle Literatur ist zwar in ihrem Stil noch stark klassizistisch geprägt, sein Aufruf zu nationaler Befreiung und Einigung Italiens weist jedoch bereits auf das »Risorgimento«, die nationale Einigung Italiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, voraus, für dessen Schriftsteller Alfieri Vorbildcharakter besitzen sollte.
 
Andrea-Eva Smolka
 
 
Hardt, Manfred: Geschichte der italienischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Düsseldorf u. a. 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • italienische Literatur. — italienische Literatur.   Die Eigenständigkeit des Italienischen gegenüber dem Lateinischen ist zumindest seit dem 10. Jahrhundert fassbar, dennoch bildete sich eine selbstständige italienische Literatur erst zwei Jahrhunderte später heraus.  … …   Universal-Lexikon

  • Parini — Parini,   Giuseppe, italienischer Dichter, * Bosisio (heute Bosisio Parini, Provinz Como) 23. 5. 1729, ✝ Mailand 15. 8. 1799; Geistlicher, seit 1769 Professor für Literatur in Mailand. Seinen Ruhm begründete er mit den ersten beiden Teilen der… …   Universal-Lexikon

  • Goldoni — Goldoni,   Carlo, italienischer Dramatiker, * Venedig 25. 2. 1707, ✝ Paris 6. 2. 1793; studierte Philosophie und Rechte und war u. a. 1744 48 Anwalt in Pisa, fühlte sich jedoch schon früh dem Theater verbunden. Mit der erfolgreichen Aufführung… …   Universal-Lexikon

  • Aufklärung — Rekognoszierung; Untersuchung; Beobachtung; Erkundung; Abklärung; Klarstellung; Klärung; Aufschluss * * * Auf|klä|rung [ au̮fklɛ:rʊŋ], die; , en: 1. das Aufklären (1 a): die Aufklärung …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”